Verundrängen
Zu einigen jüngeren Arbeiten von Charlotte Bastian
Charlotte Bastians Arbeiten sind Kommunikatoren zwischen Dimensionen: analog und digital, Bild und Raum, Wirklichkeit und Täuschung, Sicherheit und Katastrophe. Seit ihrem Studium der Bildenden Kunst an der Universität der Künste Berlin sowie an der Universidad de Sevilla und der School of the Art Institute of Chicago hat sich die in Berlin geborene Künstlerin dem Zusammentreffen verschiedener Ebenen der bildlichen Darstellung gewidmet. Schon früh eher an Zusammenhängen denn an isolierter Betrachtung interessiert, nutzt Bastian verschiedene künstlerische Medien, kombi-niert sie, fügt vorhandene oder erst produzierte Einzelteile neu zusammen. Bereits während ihres Studiums arbeitete sie mit Plastik, Zeichnung, Druckgrafik (Radierung und Holzschnitt), teils collagierter Fotografie und mit Animationsfilm. In ihrem Meisterschülerjahr kam die Malerei hinzu. Thematisch rückten bei Bastian spätestens mit Reisen in so unterschiedliche Gegenden wie die Lausitz, Island oder Südamerika die Themen Umwelt und Klima in den Vordergrund, während formal und technisch der Film und die Collage für sie an Bedeutung gewannen.
Als kleinstmögliche Ausformung eines zweidimensionalen Bildes hin zum dreidimensionalen Objekt nutzt Bastian die Collage als Mittel, um ihren Arbeiten ein entscheidendes, skulptural scheinendes Moment hinzuzufügen. Die Frage, wie sich Collage und Skulptur, mithin 2-D und 3-D, in der künstlerischen Produktion und im Sehen miteinander verknüpfen lassen, mündete für Bastian in der Überlegung, der optischen Wahrnehmung von Bildern technische Medien zwischenzuschalten.
Mit einer Nähe zu medienarchäologischen künstlerischen Vorgehensweisen und zu Räume mit künstlerisch-technischen Mitteln antäuschenden Traditionen von „Virtueller Kunst“ arbeitet Charlotte Bastian seit einigen Jahren mit selbstgebauten sowie sorgsam aus verschiedenen Beständen ausgewählten Stereoskopen einerseits, mit selbstgebauten Praxinoskopen andererseits. Sind Stereoskope – als Vorläufer heutiger VR-Headsets – seit dem frühen 19. Jahrhundert entwickelte Apparate zu Wiedergabe von statischen Bildern, mit denen ein räumlicher Eindruck von Tiefe hervorgerufen wird, der nicht den physischen Tatsachen entspricht, handelt es sich bei der Praxinoskopie um ein Vorläuferverfahren der Kinematographie. Die ab dem späten 19. Jahrhundert entwickelten Praxinoskope arbeiten mit dem Prinzip des Loops, des zyklischen, ruhigen Bewegungsablaufs, bei dem durch längere und beständige Drehung einer Folge von Bildern deren bildliche Dynamik, ein filmisches Moment erzeugt wird.
Technisch gesehen verbleiben Charlotte Bastians Arbeiten bei diesen beiden von ihr künstlerisch angewandten medientechnischen Prinzipien keineswegs im Analogen: die Bilder, die man sieht, sind von Bastian digital hergestellte Collagen, beruhend auf von ihr digital gemachten Fotografien. Die verwendeten Apparaturen selbst, im Fall der Stereoskope vielleicht aus einer Kindheit im letzten Jahrhundert vertraut, aber kaum noch erinnert (Stereomat, View-Master etc.), sind dabei für die Künstlerin auch medienästhetisches Surplus: die Stereoskope in Bastians Installationen laden ein, den Blick ins Innere der Apparate zu vertiefen, sich fast darin zu verlieren, die von der Künstlerin geschaffene Lichtdramaturgie und szenischen Inszenierungen, die Überlagerungen von Räumen und deren Schattierungen von hell und dunkel zu erkunden.
Der Faszination von Bastians Bildern kann man sich kaum entziehen – so intensiv leuchtend ist das so befremdliche wie einnehmende Licht, das durch die Linsen auf die Betrachter*innen-Augen trifft. Und so seltsam unendlich, perspektivisch entrückt, wirken die nun verräumlichten Bildwelten ihrer Bildserie „Glocal Sceneries“. Durch die räumliche Betrachtung eröffnet sich eine Wahrnehmungsebene, die das flache Bild nicht herstellen kann – es entsteht ein Tiefenraum, ein Gefühl, in dem Raum zu sein, den man doch nur betrachtet. Dass die Künstlerin mit den Mitteln der Collage auch widernatürliche Räume kombiniert, dabei Perspektiven und Größenverhältnisse anders zusammen-baut, verstärkt diesen Effekt in fast paradoxer Weise.
Wenn sich Bastian seit den späten 2000-er Jahren thematisch mit Landschaftsveränderungen im Anthropozän auseinandersetzt, so ist es kein Zufall, dass die Collagen ihrer bis heute fortlaufenden „Shifting“-Serie auch in jenen Jahren einsetzen. Ohne dokumentarisch sein zu wollen, lässt die Künstlerin hier aus meist zwei bis drei fotografischen Szenen und Motiven, die tatsächlich ganz unterschiedliche, von ihr selbst – teils mit Drohnen – fotografierte Orte weltweit abbilden, eine visuell auf kognitive Dissonanz zielende Ungleichzeitigkeit und Unverortbarkeit entstehen. Es handelt sich um unheimliche Stimmungen hervorrufende Bildwelten, in denen Restnatur, vermeintliche Idylle, Ödnis und beschädigte Architektur gleichermaßen desolat aufeinandertreffen: Metropolenarchitektur triumphiert sinnlos in prekärem Polar („Bonochui“, 2019), unbewohnte Wellblechhütten auf trockener Erde schieben sich in einen abgeschabten, vielleicht postsozialistischen Funktionsraum („Aqui“, 2019), wie zu Stein gewordene Autos stehen auf einer Autobahntrasse ihrem aus Petrol und Petrifizierung gekreuzten Ziel entgegen („Highmata“, 2020). Schon als Prints in 2-D-Ansicht, dann analog collagiert, wirken Bastians Fotocollagen nachdrücklich: nur selten sind Menschen zu sehen, als seien sie aufgrund der Bedrängnis des Abgebildeten schon rar geworden. Nimmt man die (dann von Bastian am Computer collagierten) Arbeiten in stereoskopischer Ansicht nahezu immersiv durch den Apparat wahr, erzielt die Methode der Collage eine umso bedrohlicher wirkende Unmittelbarkeit.
Gleichzeitig jedoch begünstigen dabei der technische Blick und das klare Bild-Erleben eine Vorstellung der sicheren Einhegung der zu sehenden katastrophalen Zustände. Es handelt sich dabei jedoch um die gleiche Vorstellung, die zu jenen Prozessen führt, die weltweit die abgebildeten Zustände erst herstellen: tatsächlich findet die Katastrophe nicht innerhalb, sondern außerhalb des Apparats statt. Indem Charlotte Bastian diese Schwachstelle der medialen Wahrnehmung ökologischer Wirklichkeit ihren eigenen künstlerischen Arbeiten bewusst einbaut, verweist sie auch auf die systemisch verdrängte Rolle, die auch die Künste bei der Herstellung dieser Zustände und deren Wahrnehmung spielen. Ihre Arbeiten mit dem Bewegungswahrnehmung ermöglichenden Praxinoskop machen schon gleich mit Titeln wie „Tipping Point“ (2015), „Slope“ (2015) oder „Afire“ (2018) zu geloopten Bildern von Eis- oder Feuerlandschaften bewusst, dass sowohl die benannten Zustände als auch deren Wahrnehmung nicht nur eine Frage der Statik sind, sondern auch eine von Geschwindigkeit und deren aus der Bahn werfenden Effekten.
Martin Conrads, 2022